Betonkosmetik – „Betonretusche“
„Enttäuschung ist das Ergebnis falscher Erwartungen.“
Vor mehr als 20 Jahren, in der Zeit der ersten Vorlesungen des Autors im Jahre 2000, war „Betonkosmetik“ fast noch ein Fremdwort. In dieser Zeit wurden Ausführungsfehler von sichtbaren Betonflächen vom Betonbauer versucht selbst auszubessern.
Inzwischen gibt es einen ganzen Berufszweig, der sich mit der Betonkosmetik beschäftigt. Dabei handelt es sich meist um Speziallisten aus Restauratoren und Malern. Firmen treten mittlerweile als pro-fessionelle Spezialunternehmen mit dem Schwerpunkt Betonkosmetik auf dem Markt auf.
Warum die große Nachfrage nach Betonkosmetik?
Die Anforderungen von Bauherren an den Sichtbeton werden immer höher, die Kenntnis der Ausführenden über Baukonstruktion und Baustoffkunde immer geringer. Somit können in vielen Fällen die Erwartungen des Bauherrn nicht erfüllt werden. Einige Architekten malen anscheinend lieber bunte Bilder und diskutieren stundenlang über Farben und Formen, anstatt den ausführenden Firmen Details zur Verfügung zu stellen. Sie verwechseln Bauwerke mit Bühnenbildern. Es ist Aufgabe des Architekten, alle Erkenntnisse zu beschreiben, sei es mit Worten (im Leistungsverzeichnis) oder anhand von Zeichnungen (Pläne).
Ausführungszeichnungen müssen alle für die Ausführung bestimmten Einzelangaben unter Berücksichtigung der Beiträge anderer an der Planung fachlich Beteiligter enthalten (d. h. auch Materialangaben, Sichtflächenanforderungen usw.). Diese dienen als Grundlage der Leistungsbeschreibung und Bauausführung des Sichtbetons. Aufgrund relativ kurzer Planungszeit wird häufig auf Ausführungsdetails verzichtet oder diese werden nur sehr schemenhaft ohne ausreichende qualitative Beschriftung der Bauelemente dargestellt. Detaillösungen werden so dem örtlichen Bauleiter überlassen, der damit oftmals überfordert ist.
Einer im Falle des Auftretens eines Baumangels häufig vorgetragene Reaktion, „die ausführende Firma hätte ja Bedenken anmelden müssen“, kann die Frage entgegengebracht werden, wogegen die besagte Firma denn Be-denken hätte anmelden können, wenn keine Details bzw. Leistungsbeschreibung vorlagen. Wenn im Rahmen der Planungspflichten entscheidend wichtige Detailpunkte gar nicht dargestellt werden – wie im Fall einer sogenannten „Nullplanung“ – ist bei Eintritt eines Schadens im direkten Zusammenhang mit dieser Detaillösung von einem Planungsfehler auszugehen. Fehler sowie lückenhafte Planungsunterlagen und Leistungsbeschreibungen sind an der Tagesordnung. Die fehler-hafte Planung wird Vertragsbestandteil für den Auftragnehmer. Zur Verhinderung eines daraus resultierenden Ausführungsfehlers sind Bedenkenanmeldungen mit ausführlicher Begründung und Nach-träge des Auftragnehmers erforderlich. Architekten-Wettbewerbssieger – meistens sogenannte „Fassaden-Architekten“ – nehmen keine Rücksicht auf die Gebäudekonstruktion. Sie ignorieren, dass bau-technische Anforderungen Vorrang vor gestalterischen und vegetationstechnischen Aspekten haben.
Jung-Projektsteuerer, die nur ihre Termine im Kopf haben, wissen oftmals wenig oder fast gar nichts über beispielsweise „Ausschalfristen“ beim Beton oder zulässige Bautoleranzen usw.
Besondere Vorsicht ist auch im Umgang mit dem Bild geboten, das von Sichtbeton in den meisten Architekten-Zeitschriften gezeichnet wird. Dieser wird i. d. R. als gleichmäßige Fläche ohne Makel in Szene gesetzt und fotografiert, häufig gar mit einem Bildbearbeitungsprogramm nachträglich überarbeitet. Dass in den meisten Fällen vorher eine umfangreiche Betonkosmetik stattgefunden hat, wird dabei nicht erwähnt.
Wie sieht die Praxis aus?
Bei der Bauabnahme ist es häufig zu erleben, dass sich Bauherr und/oder sein Architekt über die Diskrepanz zwischen erhoffter und erhaltener Sichtbetonoptik entsetzt zeigen. In der Folge werden seitenlange Mängellisten über die Ausführungsfehler erstellt. Selten werden in solchen Situationen Fragen nach den Detailplänen und den Beschreibungen der Sichtbetonqualität in der Leistungsbeschreibung gestellt. Auch sollte hier der Einfluss, den die vor Ort Verantwortlichen während der Herstellungsphase genommen haben, immer wieder infrage bzw. zumindest in den Fokus gestellt wer-den.
In der Praxis wird die ausführende Baufirma oftmals dazu aufgefordert, die Sichtbeton-Beanstandungen nachzubessern. Dazu kann es aber nur kommen, wenn die Leistungsbeschreibung nicht eindeutig und erschöpfend formuliert wurde oder wenn die ausführende Baufirma nicht rechtzeitig Bedenken (einschl. Begründung) schriftlich geäußert hat (siehe Kapitel 9 „Sichtbeton: Mängel und Haftung aus rechtlicher Sicht“). Das für die Ausführung verantwortliche Bauunternehmen versucht dann, die Beanstandungen, soweit diese berechtigt sind, mit ihren eigenen Handwerkern (aus Kostengründen) auszubessern. Derartige Ausbesserungen können oftmals zu einer „Verschlimmbesserung“ führen. Aus diesem Grund ist darauf zu achten, dass hier ein Reparaturmörtel mit hoher Qualität zur Ausführung kommt. Die Industrie bietet heutzutage eine große Farbpalette von Spezialspachteln mit entsprechenden Verarbeitungstechniken an. Darüber hinaus empfiehlt es sich, vorab an einer „Erprobungsfläche“ den Farbton und die Technik für die eigentliche Ausführung zu proben und dem AG zur Genehmigung vorzuzeigen.
Für die Mängelbeseitigung, z. B. in Form einer „Betonkosmetik“, sowie den Schutz und die Betoninstandsetzungsarbeiten ist ein gewisser Grad an „Know-how“ erforderlich. Nicht jedes Unternehmen verfügt über die erforderlichen Fachkenntnisse. Da „Ausreißer“, also gewisse zu tolerierende Oberflächenabweichungen, auch bei höchster Verarbeitungssorgfalt praktisch nicht immer zu vermeiden sind, ist es empfehlenswert, Mängelbeseitigungen bereits im Vorfeld zu planen.
Insbesondere bei umfangreichen Spachtel-, Lasurarbeiten an der Fassade kommen möglicherweise spätere Unterhaltungskosten hinzu, d. h. vom Sachverständigen ist eine Minderung (Wertminderung) zu berechnen (siehe Kapitel 4.3.6 Merkantiler Minderwert).
Natürlich sollte es nicht das Ziel sein, dass die ausführende Baufirma „schlechten“ sichtbaren Beton ausführt, dabei eine umfangreiche Betonkosmetik einkalkuliert und als hochwertigen Sichtbeton präsentiert. Der Charakter einer materiell „echten“ Betonoberfläche geht durch die großflächige Retusche immer mehr verloren. Dieser Charakter liegt vor allem in der großen Geltungsfunktion einer Sichtbetonoberfläche. Zur Erinnerung: Bei Betoninstandsetzungsarbeiten z.B. an der Fassade (u. a. Reprofilierung mittels Reparaturmörtel) steht beim „normalen“ Beton (Beton, der nicht als Sichtbeton deklariert wurde) die Gebrauchsfunktion im Mittelpunkt. Im Gegensatz hierzu steht der Sichtbeton, dessen Zweck zum großen Teil in der Geltungsfunktion (Optik) liegt (siehe Tabelle 7.2).
Durch die Anwendung von Ausbesserungen mit den gängigen Verfahren werden zwar zeitweise optisch gute Ergebnisse erzielt, welche bei einem üblichen Betrachtungsabstand nicht von einer „echten“ Betonoberfläche zu unterscheiden sind, jedoch kommt es an den ausgebesserten Stellen zu einer bauphysikalischen Änderung der Fassadenfläche. Diese Aussage soll durch das nachfolgende Beispiel nachvollziehbar gemacht werden.
Infolge von Niederschlägen wird der unbehandelte Sichtbeton an der Fassade mehr Wasser aufnehmen und sich dunkler abzeichnen als der neue Reparaturmörtel oder der Anstrich. Durch die unter-schiedliche Wasserbelastung der Betonoberfläche kommt es längerfristig zu einer ungleichmäßigen Verfärbung durch Schmutzpartikel aus der Luft oder durch Mikroorganismen. Ein sich ungleichmäßig verfärbendes Fassadenbild ist die Folge. Ähnlich wie bei einer im Sachverständigenwesen durchzuführenden Wasserprobe („Benetzungsprobe“) lässt sich auch in einem solchen Fall das unterschiedliche Saugverhalte des Untergrundes (Beton bzw. Reparaturmörtel) erkennen. An den Ausbesserungsstellen perlt das Wasser i. d. R. besser ab, während der unbehandelte Beton sich „dunkler“ abzeichnet, d. h. mehr Wasser in die Konstruktion eindringt.
Bei einem anspruchsvollen Sichtbeton mit hoher Geltungswirkung ist dieser farbliche Unterschied innerhalb einer Sichtfläche unerwünscht. Zur Egalisierung des unterschiedlichen Saugverhaltens (d. h. unterschiedliche Farbgebung) ist eine Hydrophobierung mit einer leichten Farblasur erforderlich. Diese zusätzlichen erforderlichen Leistungen gehen über einen normalen Instandsetzungsaufwand hinaus. Darüber hinaus bieten solche Hydrophobierungen bzw. Farblasuren keinen dauerhaften Schutz im Vergleich zur Haltbarkeit einer unbehandelten Betonoberfläche. Eine Erneuerung innerhalb von ca. 10 - 15 Jahren ist notwendig, um die Qualität der Sichtfläche weiter zu erhalten. Praktisch heißt dies, dass die Sichtbetonfläche ca. 3- bis 4-mal innerhalb von 50 Jahren erneuert werden muss. Bei einer unbehandelten Betonfläche würden solche Instandsetzungsmaßnahmen nicht anfallen.
War in der Planung/Ausschreibung ein Anstrich/Lasur vorgesehen, können die anfallenden „Sanierungskosten“ mit dem Nachgewerk (Maler) verrechnet werden. Es stellt sich die Frage, ob es sich bei einer vollständig überarbeiteten Sichtbetonfläche überhaupt noch um Sichtbeton im eigentlichen Sinne mit den materialtypischen Eigenschaften eines Betons handeln kann.
In der Schweiz ist in der Praxis zu beobachten, dass es selten Streitigkeiten über Sichtbeton gibt. Im Vergleich zur deutschen Baupraxis klärt hier der planende Architekt den Bauherrn umfangreicher über die zu erwartende Sichtbetonqualität auf, d. h. es gibt keine Enttäuschung, da vorher eine umfangreiche, auch für den Laien verständliche Beratung stattfand. Eine „Enttäuschung [, die] das Ergebnis falscher Erwartungen [ist]“ (siehe oben: Leitsatz zu diesem Kapitel), wird somit minimiert. Auch die Schweizer Versicherungen „streiten“ sich weniger, da diese vorher nach einer einvernehmlichen Lösung suchen, anstatt jahrelange Prozesse zu führen.
Es bleibt anzumerken, dass Sichtbeton in der zwar faktisch nicht mehr gültigen aber inhaltlich immer noch aktuellen DIN 18217:1981-12 als „Betonflächen mit Anforderungen an das Aussehen“ definiert wurde [1.2], d. h. es handelt sich hierbei um „sichtbar bleibende Betonflächen“. Bei hohen Sichtbetonanforderungen (wie z. B. Sichtbetonklasse SB4 gem. DBV-Merkblatt Sichtbeton) ist fast immer eine Betonkosmetik erforderlich. Dies muss der Bauherr oder sein Architekt berücksichtigen. Es muss jedoch der Grundgedanke (Beschaffenheitsvereinbarung) bestehen bleiben, dass Sichtbeton „sichtbarer Beton“ bleibt und keine gespachtelte Fläche.
Der Leistungsumfang einer Betonkosmetik darf jedoch nicht die gesamte Sichtbetonfläche betragen, andernfalls geht der Sichtbetoncharakter verloren mit der Folge einer nicht unerheblichen Preisminderung (siehe Kapitel 4.3.6 Merkantiler Minderwert). Die erforderliche Betonkosmetik sollte nur den Fachfirmen überlassen bleiben. Es muss ein Verständnis dafür geschaffen werden, dass sich die die anfangs höheren Betonkosmetikkosten später bezahlt machen und dass die Kosten für immer wieder punktuell durchgeführte Ausbesserungsarbeiten durch interne, nicht auf Betonkosmetik spezialisierte Arbeitskräfte in den meisten Fällen höher sind als ein Spezialunternehmen.
Zusammenfassung
Sichtbetonklasse SB4 ist ohne Betonkosmetik kaum erfüllbar.
In technischer Hinsicht ist eine Mängelbeseitigung in Form einer material- und fachgerechten Ausbesserung technisch möglich (Betonkosmetik).
Die Mängelbeseitigung (Nacherfüllung) ist nur zulässig, wenn mit der Nacherfüllung tatsächlich der Mangel beseitigt, also die störende Wirkung beseitigt werden kann. Dies ist bei Mängeln des Sichtbetons faktisch nie der Fall, da selbst bei bester Betonkosmetik nie der ursprünglich geschuldete Werkerfolg „Sichtbeton“ wiederhergestellt werden kann. Selbst bei optimaler Betonkosmetik wird es sich im Ergebnis immer um nachgebesserte Betonkosmetik und nicht um einen vereinbarten, mangelfreien Sichtbeton handeln.
Hinweis an Planer/Bauherren: Achtung vor Sichtbetonfotos innerhalb von Zeitschriften. Oftmals werden diese Fotos als „Muster“ verwendet, ohne Kenntnis, ob eine Betonkosmetik erfolgte. Folge:
„Enttäuschung ist das Ergebnis falscher Erwartungen.“