betonfertigteilbau

Balkone aus Sichtbeton-Fertigteile

Sichtbeton Beschaffenheitsvereinbarung

Erscheinungsbild

Bei einen Flughafenneubau erhielt der Generalauftragnehmer den Auftrag, die Betonfertigteile in Sichtbetonqualität herzustellen und einzubauen. Aufgrund unterschiedlicher Auffassung zur Ausführbarkeit von Sichtbeton meldete der Auftragnehmer „Bedenken“ an. Zwischenzeitlich wurden aufgrund diverser Mängelanzeigen einige Sichtbeton-Fertigteile auf Anweisung des AGs wieder entfernt.

Gutachterliche Einstufung

In erster Linie stellt sich die Frage: „Welche Forderungen des Bauherrn sind zwingend zu erbringen?“

Grundsätzlich sind alle Leistungen zwingend zu erbringen, die die „vereinbarte Beschaffenheit“ gewähr-leisten (sogenannte „Beschaffenheitsvereinbarung“). Nach „neuem Recht“ stellt jede Abweichung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit, unabhän-gig von der Auswirkung auf die Gebrauchstauglichkeit, einen Mangel dar (BGB § 633). Der Hinweis auf das DBV/VDZ-Merkblatt „Sichtbeton“ [2.1.1] reicht allein nicht aus, da es keine vertraglichen Vorgaben regelt, sondern lediglich eine Hilfe für den ausführenden Unternehmer, den ausschreibenden Architekten und den beurteilenden Sachverständigen darstellt.

Das Leistungsverzeichnis bestimmt das Bau-„SOLL“ (d. h. das „WIE“ der Maßnahmen). Gleichzeitig wird im Leistungsverzeichnis in den „Zusätzlichen Technische Vertragsbedingungen“ (ZTV) in Verbin-dung mit den DIN-Vorschriften, Merkblättern usw. das zu erreichende „ZIEL“ der Maßnahmen („opti-sche Anforderungen“) geregelt.

Hier wurden in den ZTV Anforderungen an die Sichtbeton-Oberflächen gestellt, die technisch und op-tisch nicht möglich sind.

Beispielsweise wurde im Leistungsverzeichnis die völlige Farbgleichheit gefordert. Die Herstellung einer völligen Farbgleichheit ist objektiv unmöglich. Dies wird u. a. im DBV/VDZ Merkblatt „Sichtbe-ton“ [2.1.1] ausdrücklich bestätigt.

Im DBV/VDZ-Merkblatt „Sichtbeton“ wird auf folgendes hingewiesen:

„Farbtonunterschiede und Verfärbungen sind auch bei größter handwerklicher Sorgfalt und bei Einhaltung der Vorgaben nicht gänzlich auszuschließen.“

Dies hat jedoch lediglich technische, nicht jedoch rechtliche Bedeutung. Rechtlich bleibt der Auftrag-nehmer zur Leistungserbringung gem. §§ 275, 311a BGB verpflichtet. Das heißt, rechtlich hat der Auf-tragnehmer auch „Unmögliches“ zu leisten. Soweit der Auftragnehmer diese vertragliche Leistung nicht erbringen kann, ist er zum Schadensersatz („Mängelbeseitigung“) verpflichtet. Nach neuer Rechtspre-chung nach der Schuldrechtsreform stellt jede Abweichung vom Leistungsverzeichnis und von der Leistungsbeschreibung einen Mangel dar (§ 633 BGB). In diesem Fall hat der Auftragnehmer deshalb grundsätzlich die in Leistungsverzeichnis und ZTV genannten Vorgaben zu erfüllen. Nach Ansicht des Sachverständigen ist diese Problematik nur durch rechtzeitige Bedenkenanmeldung gem. VOB/B [1.8] § 4.3 zu lösen.

Dies stellt jedoch eine Rechtsfrage dar und kann deshalb von einem Sachverständigen nicht ab-schließend beantwortet werden. Zur abschließenden Klärung empfiehlt der Sachverständige die Hinzu-ziehung eines mit dem Thema Sichtbeton fachspezifisch erfahrenen Rechtsanwaltes. Dabei stellen sich die Fragen: „Welche Forderungen des Bauherrn stehen im Widerspruch zueinander?“ und daraus folgend „Welche Forderungen des Bauherrn sind nicht vertraglich geschuldet, da nicht zielsicher herstellbar?“ Nach geltendem Recht führt allein die Beschreibung von Qualitätsmerkmalen dazu, dass eine Be-schaffenheitsvereinbarung vorliegt. Gelingt es dem Auftragnehmer nicht, die versprochenen Merkmale zu liefern, liegt ein Mangel vor.

Im vorliegenden Fall wurden in den ZTV für Sichtbeton-Fertigteile unter Pkt. 9.4.3 die Sichtbetonklasse 3 gem. DBV/VDZ-Merkblatt „Sichtbeton“ und in den Absätzen 9.4.5 sowie 9.4.6 die zusammengefassten Anforderungen vereinbart.

Anforderungen an die Betonfertigteile gemäß den ZTV

Hinweis

Gemäß Generalunternehmer-Vertrag bestimmen die ZTV „Sichtbeton-Fertigteile“ die Anforderungen an die am Bauvorhaben auszuführenden Sichtbeton-Fertigteile.

In Ziff. 9.4.3 wird für geschalte Oberflächen die Sichtbetonklasse SB3 vorgegeben. Das DBV/VDZ-Merkblatt „Sichtbeton“ [2.1.1] findet nur für Beton- und Stahlbetonarbeiten (Ortbeton) Anwendung, nicht jedoch für Betonteile in Fertigteilwerken. Ausdrücklich wird im DBV/VDZ-Merkblatt „Sichtbeton“ [2.1.1] darauf hingewiesen, dass das Merkblatt „Sichtbeton“ nicht für Sichtbetonflächen von Fertigteilen aus Stahlbeton gilt. Hintergrund hierfür ist, dass bei Betonteilen aus Fertigteilen re-gelmäßig keine Einteilung in Sichtbetonklassen erfolgt. Darauf wird ausdrücklich im Merkblatt „Fertig-teile“ [2.2.1] in Ziff. 3.2-4 hingewiesen. Auch hier steht deshalb der Generalunternehmer-Vertrag im Widerspruch zu den Anerkannten Regeln der Technik.

Damit kommt man zu der Frage, welche der Forderungen Vorrang bei einem Widerspruch haben. Im Generalunternehmer-Vertrag steht:

„Im Falle von Unvollständigkeiten und Widersprüchen findet die Regelung des § 1 Nr. 2 VOB/B Anwen-dung. Sofern Leistungen in der Anlage beschrieben sind und diese Leistungen in anderen Anlagen nicht beschrieben sind, stellt dies keinen Widerspruch im Sinne der vorbenannten Rangfolgeregelung dar.“

Gemäß VOB/B [1.8] § 1 Nr. 2 wird das Auftreten von Widersprüchen wie folgt geregelt:

„Bei Widersprüchen im Vertrag gelten nacheinander:

a) die Leistungsbeschreibung
b) die Besonderen Vertragsbedingungen
c) etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen
d) etwaige Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen
e) die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen
f) die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“

Im Generalunternehmer-Vertrag befindet sich keine ausdrücklich vereinbarte Rangfolge. Deshalb kommt die VOB/B zur Anwendung. Dies bedeutet, dass Leistungsverzeichnis und ZTV gleichberech-tigt nebeneinander stehen (Zitat: „Leistungsverzeichnis incl. ZTV“).

Diese „Problematik“ kann der Auftragnehmer nur bewältigen, in dem durch rechtzeitige Bedenkenan-meldung gem. VOB/B [1.8] § 4.3 die vom Auftraggeber Im Leistungsverzeichnis und ZTV vorgegebe-nen Widersprüche und Unmöglichkeiten aufzeigt.

Vorbeugung

Da der Auftraggeber zur vollständigen und richtigen Ausschreibung verpflichtet ist (VOB/A § 9 [1.9]), hat er die Entscheidung darüber zu treffen, ob die Leistung durch veränderte Ausführung (ggf. Nach-träge) oder eine Verringerung an die Anforderungen der Beschaffenheit des Sichtbetons (z. B. P1 anstatt P2) auszuführen ist.