Die Betrachtung und Bewertung von sichtbaren Leistungen erfolgt nach Regeln. Der Begriff „Regeln“ ist zurückzuführen auf das lat. Wort „Regular = Richtschnur“. Ob man die Bezeichnung Regel, Regelwerk oder Norm benutzt, ist in letzter Konsequenz egal. Alle beinhalten den gleichen Grundgedanken: die allgemeine verbindliche Feststellung von Verhaltens- bzw. Ausführungsregeln, hier: Besichtigung von Flächen.
Die Prüfung von Sichtflächen ist in der Regel in dem Abstand durchzuführen, welcher der „üblichen Nutzung“ entspricht.
Üblicher Betrachtungsabstand: Der „übliche“ Betrachtungsabstand ist vergleichbar mit einer Gemäldebetrachtung, d. h.:
Die übliche Nutzung muss nicht immer der tatsächlichen Nutzung entsprechen. Wenn möglich, sollte der Abstand von 1 m bei der Bewertung nicht unterschritten werden. Bei der Prüfung auf evtl. Fehler ist die Betrachtung möglichst im rechten Winkel auf die Oberfläche durchzuführen.
Unüblicher Betrachtungsabstand: Abstand bzw. Blickposition vom “Vorgarten”(Rasenfläche) anstatt vom Gehweg, siehe. Abb. 6 und 7, oder von der Loggia ist das Betrachten der Fassade nur durch starkes Herauslehnen möglich (kein “normaler” Betrachtungsabstand), siehe Abb. 3.
Ein „Fernglas“ ist zwar zur Ursachenfindung eines evtl. Schadens nützlich, stellt jedoch nicht den üblichen Betrachtungsabstand dar.
Beispiele
Betrachtungsabstand Gesimse
2.2.1
Von der Straße (Pos. 1) kann der “Abriss” im Gesimsbereich nicht gesehen werden.
Vom Balkon (Pos. 3) kann er gesehen werden.
2.2.2
Von der Straße (Pos. 1) kann der “Abriss” im Gesimsbereich nicht gesehen werden.
Von der Loggia (Pos. 2) ist das Betrachten nur durch starkes Herauslehnen möglich (kein “normaler” Betrachtungsabstand).
Die Betrachtung, z. B. der Fassade, kann behindert werden durch Gerüststellung mit örtlich beengtem Betrachtungsabstand, siehe Abbildung 4 und 5.
Wenn ein Vorgarten bzw. eine Rasenfläche (z. B. eine Hofbegrünung) vorhanden ist, die in der „Regel“ nicht begangen wird, ist der Betrachtungsabstand entsprechend der Objektgröße vorzunehmen.
(Links) z. B. bei Hofbegrünung
(Rechts) z. B. Wege, Bürgersteig
Punkt 1 bis 3: Betrachtungsabstände
Punkt 4: gepflasterter Weg
Punkt 5: Rasenfläche/Hofbegrünung
Punkt 6: zu betrachtendes Objekt
Damit ein behaupteter Mangel „deutlich“ erkennbar ist, sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
Geprüft werden sollte unter „normalen“ Tageslichtverhältnissen, d. h. Unregelmäßigkeiten, die durch seitlichen Einfall von natürlichem Sonnenlicht zeitlich begrenzt sichtbar werden, sind in der Regel hinzunehmen. Künstliches Streiflicht ist zur Bewertung nicht zugelassen. Die Elektroplanung (Decken- bzw. Wand-Halogenstrahler) ist bei der Sichtplanung/Flächenplanung (Decke, Wände, Fassaden) daher besonders zu berücksichtigen. Künstliches Streiflicht („Beleuchtung“) stellt eine erhöhte Anforderung dar und ist gesondert zu vereinbaren.
Bei der Bewertung von Sichtflächen ist die Angabe der Lage der Lichtquelle besonders wichtig, falls nachträglich eine andere Person die „Sichtbewertung“ (Gutachten) nachvollzieht bzw. überprüft. Dies ist vergleichbar nur möglich, wenn von gleichen Grundlagen (hier „Lichtquelle“) ausgegangen wird. Lichtquellen mit anderen Einfallswinkeln zum Objekt können durchaus andere Erkenntnisse/Ergebnisse hervorrufen.
Beispiel: Eine Lichtquelle (Sonne) „von oben“ lässt Vor- und Rücksprünge innerhalb der Fassade deutlicher erscheinen, als eine Lichtquelle „im Rücken“. Eine Lichtquelle (Sonne) von der Seite („Streiflicht“) verdeutlicht „Unebenheiten“ mehr, als wenn die Fassade im Schatten liegt.
Diese Angaben sind in einer „Checkliste“ (siehe Abb.15) bei Feststellung des Objektzustandes zu dokumentieren.
In der Regel werden 5 „Lichtquellen“ unterschieden:
Punkt 1: übliche Betrachtung im rechten Winkel mit Betrachtungsabstand „l“ (siehe Abb. 2)
Punkt 2: unübliche Betrachtung, schräg von der Seite
Punkt 3: unübliche Betrachtung direkt vor dem Objekt, von unten nach oben gesehen
„Vorne“ bzw. „hinten“ bezieht sich immer von der Person ausgehend in Blickrichtung. Wie wichtig die Dokumentation der Lichtverhältnisse ist, wird am folgenden Beispiel verdeutlicht: Die Sonne (als natürliche Lichtquelle) zieht bekannter Weise von Ost nach West.
Lichtquelle, z. B. „Sonnenstand“ mit:
Sonnenstand Westseite, dicker Pfeil zeigt Standpunkt des Betrachters
Sonnenstand Südseite, dicker Pfeil zeigt Standpunkt des Betrachters
Sonnenstand Ostseite, dicker Pfeil zeigt Standpunkt des Betrachters
Sonnenstand Nordseite, dicker Pfeil zeigt Standpunkt des Betrachters
Lichtverhältnisse zu verschiedenen Tageszeiten
In der Tabelle wird deutlich, dass die Besichtigung einer Fassade zu unterschiedlichen Tageszeiten unterschiedliche Lichtverhältnisse aufweist. Daraus folgt, dass der Betrachter zu verschiedenen Tageszeiten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Für jede Fassadenansicht ist eine eigene Bewertung aufzustellen. Das o. g. Beispiel verdeutlicht, dass die Nord-Ansicht, die ständig im Schatten liegt, eine geringere Minderung erhält, als die Süd-Seite, welche ständig von der Sonne angestrahlt wird. Alle vier Ansichten ergeben in der Addition ihrer Minderungswerte die Gesamtminderung.
Die Bewertung erfolgt je nach Baustoff, u. a.:
4.1 Sichtbeton
Ortbeton, Betonfertigteile [1]
4.2 Putzoberflächen
Berücksichtigung der Qualitätsstufen [2]
Das Objekt ist unter gebrauchsüblichem Abstand zu betrachten. Eventuelle optische Beeinträchtigungen sind für jeden nachvollziehbar in einem Protokoll festzuhalten:
Empfehlung:
Um unterschiedliche Grundlagen zur Sichtflächen-Bewertung zu vermeiden, ist ein Protokoll (siehe o. g. Muster, z. B. andere Personen, Tageszeit, Lichtquelle usw.) vom Ortstermin anzufertigen.
Schulz,J. ö.b.u.v. Sachverständiger u.a. für Sichtbeton
[1] Schulz, Joachim: „Sichtbeton- Von der Planung bis zur Mängelvermeidung“ 4. Auflage
[1] Schulz, Joachim: „Architektur der Bauschäden“ 4. Auflage
Springer Vieweg Verlag 2021